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Kinderpornografie
Schützen und Stärken
Kindesmissbrauch - Neues Konzept
Streife-Redaktion

Es sind Fotos, die niemand sehen möchte. Bilder, die Leid und Schmerz von Kindern zeigen, weil Erwachsene sie sexuell missbrauchen. Kriminalhauptkommissarin Christine Kreuz blickt auf ihren Bildschirm, sie darf nicht wegschauen. Ihr Blick weicht nicht vom Monitor, ihre Augen scannen die einzelnen Details. Sie muss sich voll und ganz auf die Missbrauchsbilder konzentrieren, um jeden noch so kleinen Hinweis zu entdecken – auch wenn das nicht immer leicht für die eigene Psyche ist.

Es gibt Momente, da kann man sich diese Bilder nicht mehr anschauen“, sagt die Kriminalhauptkommissarin, die seit sechs Jahren als Sachbearbeiterin im Bereich Kindesmissbrauch im Polizeipräsidium Hamm arbeitet. Sie wertet Speichermedien und Chatverläufe aus, vernimmt Verdächtige und untersucht Missbrauchsbilder und -videos von Kindern und sogar Säuglingen. „Man muss sich ein dickes Fell zulegen, um damit umgehen zu können“, beschreibt Kreuz die belastenden Situationen, die sie täglich erlebt und verarbeiten muss. Was auf sie zukommt, weiß sie nicht, bevor sie das nächste Bild oder Video öffnet.

„Jeder entwickelt für sich selbst Strategien, um mit dem Gesehenen umzugehen“, sagt Kreuz. Das können Gespräche mit Kollegen, aber auch kurze Auszeiten sein, um mit der Belastung klarzukommen. „Bisher schaffe ich es ganz gut, das nicht zu sehr an mich heranzulassen“, sagt sie. „Aber manchmal gibt es auch Tage, wo das nicht so gut klappt.“ Um Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeitern im Bereich Kinderpornografie zur Seite zu stehen, hat der Sozialwissenschaftliche Dienst (SwD) des Landesamts für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten NRW ein Konzept für die landesweite Umsetzung der Psychosozialen Unterstützung (PSU) entwickelt: Mit welchen Techniken kann ich negative körperliche und psychische Folgen vermeiden? Welche Faktoren begünstigen Stress und welche schützen mich davor? Antworten auf diese und weitere Fragen sollen den Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeitern helfen, das zu verarbeiten, was sie täglich erleben. Die verpflichtende Teilnahme an Fortbildungsmaßnahmen und einer jährlichen Supervision ist dabei ein Baustein in einem umfassenden PSU-Gesamtkonzept.

Hinzu kommen Angebote zur Prävention und verhaltenspräventive Maßnahmen, die bei den Rahmenbedingungen der Arbeit ansetzen. Hier erhalten Teilnehmer unter anderem Informationen zu psychischen Belastungen und nehmen an einem Stressbewältigungstraining teil. Das Ziel: Die psychologische Betreuung und die Supervision sollen für Beschäftigte im Bereich Kindesmissbrauch künftig landesweit nach einheitlichen Mindeststandards erfolgen.

 

Der Startschuss für das PSU- Konzept ist erfolgt 

Erste erfolgreiche verpflichtende Einzel-Supervisionen sind bereits durchgeführt worden. Positive Erfahrungen hat der SwD schon mit den freiwilligen Supervisionen gemacht, die er seit Jahren anbietet und auf denen man nun aufbaut. Kriminalhauptkommissar Frank Niehues profitierte davon: „Als ich 2005 in der Kreispolizeibehörde Warendorf als Sachbearbeiter im Bereich Kinderpornografie begonnen habe, war es für mich sehr schwierig, zu verstehen, was man da sieht“, sagt Niehues. „Das war ein bisschen wie das Tor zum Bösen.“ Seine Gedanken zu Arbeit und Privatem vermischten sich immer mehr in den Anfangsjahren. Zu jener Zeit war Niehues Vater einer kleinen Tochter. Wenn er mit ihr zusammen war, verfolgten ihn Eindrücke aus seiner täglichen Arbeit – also entschied er sich 2008 für eine Einzel-Supervision beim LAFP NRW.

„Ich konnte in dem Gespräch mit dem Supervisor alles ansprechen, was mich belastet hat“, erinnert sich Niehues, der laut eigener Schätzung mittlerweile Millionen von Missbrauchsbildern ausgewertet hat. „Im Bereich Kinderpornografie ist es wichtig, sich selbst nicht zu verlieren und Strategien zu entwickeln, um mit der Belastung umzugehen.“ Für Niehues war es der richtige Weg. Er hat Techniken entwickelt, die Missbrauchsbilder hinter sich zu lassen, wenn er sein Büro verlässt. „Für mich war die Supervision ein Erfolg und ich kann jedem empfehlen, sich darauf einzulassen.“

Mit dem PSU-Konzept und den damit verbundenen verpflichtenden Supervisionen bietet das LAFP NRW ein weiteres Werkzeug, um Sachbearbeiter im Bereich Kinderpornografie zu schützen und zu stärken. Einen Anlaufpunkt, an dem sich alle Polizeibeschäftigten mit den persönlichen Kraftquellen für die Ausübung ihres Berufs auseinandersetzen können, ist schon seit 2019 der „Kraftraum“ in der Selmer Liegenschaft. Die „Muckibude für den Kopf und die Seele“, wie es Detlev Schrör vom Zentrum für ethische Bildung und Seelsorge der Polizei Nordrhein- Westfalen beschreibt.

Beim Betreten des Raums bemerken die Teilnehmer zunächst einen Kies-Steinteppich, der für ein neues Gefühl unter den Füßen sorgt, und die Fototapeten. Auf kniehohen Monitorwürfeln laufen zudem Animationen von potenziellen Kraftquellen. Die Teilnehmer sollen so die Perspektive wechseln von den kraftzehrenden, belastenden Situationen ihres Arbeitsalltags und sich in Workshops ihren individuellen Kraftquellen widmen.

„Ich habe im Kraftraum bemerkt, dass ich den Blick für einige Dinge verloren hatte und wo meine Kraftquellen sind, wenn ich versuche, Negatives nicht an mich heranzulassen“, sagt Christine Kreuz rückblickend. Es sei die gewisse Stimmung gewesen, die es ihr einfacher gemacht habe, private Dinge von sich preiszugeben.

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