Dr. Johannes Zagermann zieht Proben von den Chemikalienfunden und analysiert sie im LKA-Labor.
Zeitbombe aus der Drogenküche
Synthetische Drogen sind in Europa auf dem Vormarsch. Bei der Herstellung entstehen tonnenweise toxische Abfälle. Sie werden von Kriminellen rücksichtslos entsorgt. Das nordrhein-westfälische LKA schlägt Alarm.
Streife-Redaktion

Dass in Deutschland über „Dumping“ bisher so gut wie gar nichts bekannt ist, wundert Michael Effertz. „Man spricht das Wort Dümping und nicht Damping aus“, erläutert der Kriminalhauptkommissar im LKA zu Beginn des Gesprächs. Es komme aus dem Niederländischen und nicht aus dem Englischen und meine „schütten“, „ablagern“ oder „verklappen“. 

Die Niederlande seien Weltmeister bei der Produktion von mit Chemie erzeugten Betäubungsmitteln. Und auch die Banden, die ihre gefährlichen Abfälle in NRW abkippten, hätten fast alle Verbindungen nach dort, stellt der 55-Jährige fest. 

Besonders die Provinzen Limburg und Brabant scheinen mit ihren illegalen Laboren Hochburgen der Drogenherstellung zu sein. Von dort ist es nur ein Katzensprung nach Nordrhein-Westfalen. „Der Fahndungsdruck der Kolleginnen und Kollegen und das öffentliche Interesse am Thema sind in den Niederlanden sehr groß“, konstatiert der Kriminalhauptkommissar. „Wir befürchten, dass künftig noch viel mehr zu uns herüberschwappt.“ 

Der LKA-Mann kümmert sich in dem für Organisierte Kriminalität zuständigen Dezernat 14 seit drei Jahren um die Überwachung von 42 Chemikalien, die im Grundstoffüberwachungsgesetz gelistet sind. Meist beschäftigt er sich mit Stoffen, die bei der Produktion von synthetischen Drogen wie Amphetaminen (etwa MDMA und Ecstasy) oder Methamphetaminen (wie dem in den Niederlanden boomenden Crystal Meth) eingesetzt werden. Die halbsynthetischen Drogen (Kokain, Heroin) werden in der Regel außerhalb von Europa produziert und spielen deshalb bei seiner Arbeit keine Rolle. 

Dass Effertz zuvor für seine Behörde Verbindungsbeamter in den Niederlanden war, ist von großem Nutzen. Er kennt die Verhältnisse im Nachbarland sehr gut und kann dort auf ein ausgedehntes Netzwerk zurückgreifen, um wichtige Informationen einzuholen. Im LKA kooperiert er eng mit Dr. Johannes Zagermann. Der Chemiker zieht Proben von den Dumping-Funden und analysiert sie dann im Düsseldorfer LKA-Labor. 

„Bei der Herstellung eines Kilos Rauschgift fallen nach unserer Faustformel 10 bis 40 Kilo Abfall an.“ 

Dr. Johannes Zagermann, Chemiker im Düsseldorfer LKA-Labor

Bei dreckigen Verfahren gebe es reichlich giftige Rückstände. Agierten die Gruppen professioneller, bleibe deutlich weniger übrig. „Es besteht ein krasses Missverhältnis zwischen der großen Menge beschlagnahmter Drogen und der vergleichsweise verschwindend geringen Menge von registrierten Chemikalienresten“, weist Zagermann auf ein Dilemma hin. Die Ermittler stoßen in der Regel nur zufällig auf Dumping. Oft werden die entdeckten Kanister oder Kartons fälschlich nur als Umweltdelikt eingeordnet. „Hier müssen wir noch mehr sensibilisieren“, meint Effertz. Dumping sei eine Zeitbombe. 

Die entsorgten Chemikalien werden unbemerkt ins Grundwasser, in die Kanalisation und in Bäche und Flüsse eingeleitet. Präparierte Kleinlaster lassen die zur Herstellung gebrauchten Säuren und Laugen während der Fahrt unauffällig durch ein kleines Loch versickern. Oder man gießt sie in einer Autowaschanlage aus. „Was dabei an Schäden für Mensch und Natur verursacht wird, mag man sich gar nicht vorstellen“, resümiert der Beamte.

Auf den bislang größten Dumping-Fall in NRW stieß man am 26. September 2018 bei Eschweiler am Blausteinsee. 400 Kanister mit einem Volumen von 20 bis 30 Litern waren in dem Naherholungsgebiet hinterlassen worden – insgesamt elfeinhalb Tonnen. Das LKA musste damals intervenieren, denn auch hier ging man zunächst von illegal entsorgten Chemikalien aus der legalen Industrieproduktion aus. 

Michael Effertz und Johannes Zagermann mahnen diejenigen zur Umsicht, die auf einen solchen Fund stoßen. Typisch für Dumping sei ein Sammelsurium von Behältern – häufig sind sie mit chinesischen oder polnischen Etiketten versehen oder mit handschriftlichen Bezeichnungen auf Niederländisch. Oder die Etiketten werden mutwillig unleserlich gemacht. Man solle sofort die Polizei verständigen und dürfe auf keinen Fall etwas öffnen oder berühren. Der Inhalt könne schlagartig entweichen und zu schweren Verletzungen und im schlimmsten Fall zum Verlust des Augenlichts führen. 

Je schneller die Benachrichtigung erfolgt, desto erfolgreicher kann sich die Suche nach den Tätern gestalten. Frische Reifenspuren, die Chargennummern der Kanister, anhaftende DNA, all das ist hilfreich, um die Täter zu identifizieren. 

Bei der Bekämpfung der Rauschgiftbanden braucht die Polizei manchmal auch ein bisschen Glück. In Herten fing eine BTM-Fabrik im August 2021 Feuer. Da die Drogen mit Propan- oder Butangasbrennern bei offener Flamme „gekocht“ werden, passiert so etwas schon mal. Die himmelhohe Rauschsäule war nicht zu übersehen. Die Täter wurden inzwischen ermittelt und verurteilt.

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In dringenden Fällen: Polizeinotruf 110